- Die Einheitsgemeinde
Gnarrenburg (12 Ortschaften mit ca. 10.000 Einwohnern) liegt im
Herzen des Elbe-Weser-Dreiecks inmitten von weiten Feldern,
ausgedehnten Wäldern und urwüchsigen Moor- und
Heideflächen.
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Allein 11 Moordörfer
entstanden hier zwischen 1771 und 1850 nach den Plänen von
Moorkommissar Jürgen Christian Findorff (1720 - 1792) im
nördlichen Teil des Teufelsmoores.
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Da Brenntorf in Bremen
und Hamburg sehr gefragt war, entwickelte sich ein reger
Torfhandel. Er ließ die Kulturarbeit auf den Anbauerstellen
in den Hintergrund treten.
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Für die Ansiedlung
von Glashütten waren folgende Faktoren bestimmend:
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riesige Torfvorkommen als Energielieferanten (der Torf wurde wie
in einem Holzmeiler verkohlt und durch Torfgas die
erforderliche Hitze von 1200°C erreicht), -
- Quarzsande am Geestrand
und in den Moorseen,
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- Anschluß an den
Oste-Hamme-Kanal,
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- billige Arbeitskräfte
(die heimischen Bevölkerung wurde angelernt),
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-die Facharbeiter
(Glasbläser und Glasschleifer) kamen aus ganz Deutschland.
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Aus
Gnarrenburgs vergangenen Tagen: Torf & Glas
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Unsere Rundfahrt beginnt bei der ehemaligen Glasfabrik
Marienhütte an der Bergstraße in
Gnarrenburg, gegenüber dem Traditionsgasthof Marienhütte.
Bremervörder Bürger gründeten 1846 auf der
Geestdorfer Heide diese Hütte. Ihren Namen verdankt sie der
Gemahlin des letzten hannoverschen Königs Georg V., Marie.
Wie die 64 Jahre zuvor aus nicht ganz geklärten Umständen
eingegangene Fahrenberger Hütte förderte auch sie den
Torfabbau.
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130
Jahre dauerte die wechselvolle Geschichte der Marienhütte.
Sie bestimmte die Entwicklung Gnarrenburgs entscheidend. Die
Blütezeit der Hütte begann mit der Übernahme durch
Hermann Lamprecht im Jahre 1876, der die anfängliche
Tafelglasproduktktion auf Hohlglas umstellte. Der Sprung auf den
Weltmarkt gelang mit der Erfindung des Tropfenzählers
(verschiedene Reichspatente von 1881 - 1885). Man konnte
erstmalig exakt Tropfen zählen, was besonders in der Medizin
wichtig ist.
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 Anzeige
aus dem Heimat- und Adreßbuch 1950/51. -
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 Patentschrift
Tropfenzähler -
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Um der weltweiten Nachfrage
gerecht werden zu können, wurden Hüttten zugekauft:
Breitenstein/Harz (1890) und Immenhausen bei Kassel (1908).
Hermann Lamprecht, der 1909 verstarb, war nicht nur ein Wohltäter
seiner Arbeiter. Er unterstützte die Schützengesellschaft,
die Kirche und die Gemeinde. So lieh er Gnarrenburg 50.000 RM für
den Bau der Kleinbahn Bremervörde - Gnarrenburg - Osterholz.
Das erleichterte den Warentransport fortan. Auf die Rückzahlung
des geliehenen Geldes verzichtete Lamprecht testamentarisch.
Vorher war der Transport zur 22 Kilometer entfernten
Eisenbahnstation Oldenbüttel mit einem eigenen
Pferdefuhrpark durchgeführt worden.
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Seit Beginn des ersten
Weltkriegs bestimmten Höhen und Tiefen die Firmengeschichte.
Während des Krieges führte Facharbeitermangel zur
Stillegung. Die Nachkriegsjahre gestalteten sich wegen der
Wirtschaftslage als sehr schwierig. Die Wirtschaftskrise 1932/33
bewirkte eine erneute Stillegung, doch 1936 waren wieder knapp
200 Arbeiter beschäftigt. Nach den Wirren des zweiten
Weltkriegs ging es nochmals bergauf. Um 1950 zählte die
Marienhütte etwa 260 Beschäftigte, rund 9600
Metallformen waren auf Lager und die Jahresproduktion betrug ca.
20 Millionen Flaschen. Ein Drittel ging in den Export.
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Doch Ende der 60er Jahre begann
der Strukturwandel. Auch die Herstellung von Beleuchtungsgläsern
konnte den Niedergang der Hütte nicht aufhalten. Aus
Wettbewerbsgründen mußte die traditionsreiche
Marienhütte 1976 ihre Tore schließen. Über 250
Menschen hatten dort Arbeit und Brot gefunden. Die Werkshallen
sind ausgeräumt.
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Zwischen dem Betriebsgebäude
und der Kleinbahn befand sich der kleine Hafen der Glashütte.
Parallel zur Straße verlief der bereits 1778 angelegte
Kirchdamm-Kanal, fortan Hüttenen-Kanal genannt. Er verband
den Hafen mit dem Oste-Hamme-Kanal.
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Torf wurde transportiert und
Glasprodukte noch Bremervörde gebracht, von wo sie mit dem
firmeneigenen Glasdampfer noch Hamburg und von dort
in die ganze Welt gelangten.
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Einen Kilometer weiter südlich am Kanal befinden sich die
Gnarrenburger Torfwerke. Die Anfänge der hiesigen
Torfindustrie gehen auf die Erfindung der ersten Torfpresse und
der ersten Torfbahn durch H. Lamprecht im Jahre 1880 zurück. -
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 Torfkahn
am Klappstau. -
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Nach 700 m Weg ist der Oste-Hamme-Kanal erreicht. Der 16
Kilometer lange ehemalige Schiffgraben verbindet die Oste mit der
Hamme (1769 bis 1790 erbaut). Er hatte um die Jahrhundertwende
eine Breite von knapp sechs Metern und eine Tiefe von fast einem
Meter. Der nun durchgehende Wasserweg nach Hamburg (Oste-Elbe)
oder nach Bremen (Hamme-Lesum-Weser) bildete die Grundlage für
einen regen Torfhandel. Während die hiesigen Moorbauern bis
Osterholz oder direkt bis Bremen fuhren, brauchten sie für
den Absatz in Hamburg oder an der Unterelbe nur bis Bremervörde
zu fahren, wo der Torf auf größere Elb-Ewer verladen
wurde. Für den Transport benutzte der Torfschiffer spezielle
Kähne mit einem geringen Tiefgang, sogenannte
Halbhunt-Schiffe mit einem Fassungsvermögen von einem
halben Hunt (ein halbes Hundert Körbe Torf = ca.
6 Kubikmeter Torf). Wegen der Gezeiten in Elbe und Weser und
wegen des Höhenunterschieds mußten Staus oder
Schleusen eingebaut werden. Sie behinderten die Fahrt. Die
Erfindung des Klappstaus durch den Moorkommissar Witte erlaubte
auch die Nachtfahrt. Doch noch wichtiger war die Verminderung des
Wasserverlustes beim Öffnen des Staus Die Schiffe schoben
sich auf die flexible Klappe und drückten sie herunter. Nach
der Durchfahrt schnellte sie durch den Wasserdruck wieder noch
oben. Die Torfschiffahrt war mühsam. Die meiste Zeit mußte
getreidelt, gewriggt oder gestakt werden. Segeln konnte man nur
auf den Flüssen.
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Der Oste-Hamme-Kanal, einst als
wichtigste Verkehrsader zwischen Elbe und Weser vorgesehen,
erlangte eine Bedeutung nur hinsichtlich der Beförderung von
Torf auf kleinen Kähnen.
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Aufgrund der günstigen
Verkehrslage sind am Kanal 6 Moordörfer entstanden.
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Auf der Friedrichsdorfer Seite
geht es ca. 1,5 Kilometer nordwärts weiter, am
Oste-Hamme-Kanal entlang. Rechts liegt Langenhausen. Der Blick
fällt auf die etwa 120 Meter zurückliegenden
Hofstellen. Auf jedes Gehöft führt ein Hausdamm, der in
der Regel von stattlichen Bäumen gesäumt wird.
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Bei Brümmers Landhaus werden der Kanal und die Kreisstraße
gequert. Etwa 6 Kilometer nordöstlich wurde 1750 die
Königliche Glashütte auf dem Fahrenberge
gegründet, die bis 1782 Hohlglas herstellte. Die Produkte
konnten nicht nur im Umland, sondern auch in Bremen, Hamburg und
Holland abgesetzt werden. Von dieser Hütte ist heute im
Gelände nichts mehr zu erkennen.
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Siegel
der Fahrenberger Hütte.
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Auf dem Augustendorfer Damm mit parallel verlaufendem
Schiffgraben erreichen wir nach 1,7 Kilometern das (seit
Ende 2001 geschlossene - d. Redaktion) Glas-Museum
Marienhütte in Augustendorf, Hausnummer 1. Hier wird
die über 225jährige Geschichte der Gnarrenburger
Glasindustrie /1750 - 1976) anhand von alten Glaserzeugnissen,
Werkzeugen und anderen Hinterlassenschaften wieder lebendig.
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Wir befinden uns auf einer der
ältesten Hofstellen Augustendorfs (1829). Im angeschlossenen
Teufelsmoor-Museum werden Arbeit und Leben im Moor
erklärt.
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Nach dem Museumsbesuch kann
hier, im nahegelegenen Gasthof Zum Huvenhoop oder bei
der nächsten Station eine Rast eingelegt werden.
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Auf dem Historischen Moorhof Augustendorf (Hausnummer
11) erleben wir den Alltag der ersten Moorbauerngenerationen. Die
Vielzahl der im Rauchhaus und auf dem Museumsgelände
befindlichen Ausstellungsstücke gestatten einen Einblick in
das einfache Leben einer Moorbauernfamilie, besonders auch
deshalb, weil dieser Hof an Ort und Stelle verblieben ist.
Typisches, was ehemals vorhanden war, ist rekonstruiert worden,
wie Ziehbrunnen, Göpel, Bienenzaun, Backofen, Torfstich und
sogar ein Häuschen mit Herz. Auf den
Erwerbszweig des 19. Jahrhunderts weist der Torfkahn hin.
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Das Moorreihendorf Augustendorf
entstand 1828. Es wurde benannt nach Herzogin Auguste von
Cambridge, der Gemahlin des Generalgouverneurs von Hannover,
einem Bruder König Georgs IV. Von England und Hannover. Sie
billigte mit Vergnügen die Namensgebung.
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Beim
Durchfahren des Ortes werden die Struktureneiner sogenannten
Findorff-Siedlung besonders deutlich: Schiffgraben, Damm,
rechtwinklig dazu die Höfe mit gleicher Breite (ca. 160
Meter) und 1000 Meter Tiefe. Am Schiffgraben, der früher ca.
4 Meter breit war, liegt die Vorweide , dahinter die
Wirtschaftsgebäude. Beachtenswert sind die schönen
Hofauffahrten.
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7Nächste
Station ist das Naturschutzgebiet Huvenhoopssee am
Ortsausgang Augustendorf (Parkplatz). Das Schutzgebiet umfaßt
320 Morgen, während der See selbst eine Fläche von gut
30 Morgen bedeckt. Er ist im Teufelsmoor der letzte Hochmoorsee.
Ein Beobachtungsturm ermöglicht einen weiten Blick über
die urwüchsige Landschaft mit ihrer besonderen Pflanzenwelt.
Ein herrlicher Anblick ist es, wenn das Wollgras blüht.
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Der Weg Richtung Gnlinstedt
führt an riesigen Torfabbauflächen (linker Hand)
vorbei, die sich zum großen Teil in der Renaturierung
befinden. Mit der Feldbahn wird der abgebaute Torf zur
Aufbereitung in die Humuswerke (ehemals Torfwerke) in Gnarrenburg
gebracht und dort verarbeitet.
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Am Fuß des von der Eiszeit geschaffenen Steinbergs (ca. 30
Meter hoch) fahren wir links in die Seeholzstraße in den
Wald. Auf halber Höhe (rechts) befinden sich riesige Sand-
und Kiesgruben. Linker Hand genießen wir den weiten Blick
über das Huvenhoopsmoor. Wir erreichen die Glinstedter
Friedhofskapelle, von der bei klarem Wetter Bremens Türme zu
sehen sind.
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In der Dorfmitte erwarten uns
imposante Bauernhäuser mit herrlichem Baumbestand. Hier
steht auch der G.ockenturm mit einer 500 Jahre alten Glocke.
Unterwegs nach Karlshöfen sehen wir rechter Hand eine weite
Senke (hinter der Gärtnerei)- Hier befand sich der Glinster
See, über einen Kilometer lang und ca. 600 Meter
breit. Er zählte zu den größten Binnenseen in den
ehemaligen Herzogtümern Bremen und Verden. Der schöne
ausgewaschene weiße Sand diente den Bauern als Streusand
für die Dönzen und das Flett. In der Marienhütte
und Carlshütte war er ein notwendiger Rohstoff für die
Glasherstellung.
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Dem alten Heer- und Handelsweg folgend biegen wir in Karlshöfen
(Linkskurve) rechts ab in die Bienenstraße, um die großen
Bauernhöfe mit ihrem herrlichen Baumbestand im Dorfkern zu
entdecken. Der Ortsname ist wahrscheinlich auf Karl den Großen
zurückzuführen, der hier einen Karls- oder Königshof
anlegen ließ. Südwestlich des Ortes lag die Seeburg
der Ritter von Issendorff (zwischen 1300 und 1400) - heute das
Wappen von Karlshöfen.
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Kurz hinter dem Karlshöfener Berg liegen links die
Produktionsstätten des Lampenherstellers Brilliant.
Seit 1857 wurden dort in der Glasfabrik zur Carlshütte
bei Gnarrenbug Tafelglas und Glasdachpfannen hergestellt.
Die Hütte grenzte unmittelbar an die Findorfer Moorflächen,
wo der benötigte Torf gestochen werden konnte. Der Transport
erfolgte über einen Stichkanal. Der erforderliche Quarzsand
kam zunächst vom eigenen und dem benachbarten Grundstück,
auf dem zur gleichen Zeit eine Ziegelei entstand. Später
kamen diese Sande per Pferdefuhrwerk aus Glinstedt. Der Versand
der Fabrikate erfolgte mit dem Schiff oder dem Fuhrwerk. Nach dem
Bau der Kleinbahn lag der Bahnhof vor der Tür. Ab 1921
nannte sich diese Glasfabrik Hansa-Hütte. Wegen
Absatzmangels mußte sie 1926 ihre Pforten schließen.
50 bis 60 Mitarbeiter wurden arbeitslos. Ab 1957 stellte die
Firma Ultravit (O. Tschammer) dort Beleuchtungskörper her.
1976 siedelte sich hier die Firma Lippold, jetzt
Brilliant-Leuchten, erfolgreich an. Die letzten
Werksgebäude der Hansa-Hütte sind 1996 dem Neubau einer
Lagerhalle der Leuchtenfirma gewichen.
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 Die
Carlshütte. -
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Ein schon in vorgeschichtlicher Zeit wichtiger Verkehrsweg führte
vom Karlshöfenerberg über den ca. 700 Meter langen
Gnarrenburger Moorpaß. Das belegen zahlreiche
Funde, u. a. Eines der ältesten Wagenräder Europas
(über 4000 Jahre alt) sowie Reste von Bohlenwegen.
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Nordwestlich des Moordammes,
beim Mühlenberg, lag die Gnarrenburg (ca. 1250 - 1500), als
Schanze noch im Siebenjährigen Krieg (1756 - 1763) genutzt.
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Etwas später sollte dort
eine weitere Glashütte angelegt werden, ähnlich der
Hütte Fahrenberg.
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Nordöstlich der Kleinbahn rechts entstand 1936 die vierte
Glasfabrik, die Gulau'sche Hütte. 15 bis 20
Arbeiter stellten dort Glasdachpfannen her, die in ganz
Deutschland verkauft wurden. 1951 übernahmen o. Tschammer
und K. Lippold das Werk, nannten es nun Brillant-Glashütte
und nahmen mit 40 bis 60 Arbeitern die Produktion von Gläsern
für Lampenschirme auf. Wachstumsbedingt erfolgte 1976 der
Umzug zum Standort der ehemaligen Carlshütte /Hansa-Hütte.
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In der Ortsmitte, am höchsten Punkt des Ortes, steht die
Gnarrenburger Kirche. Sie ist die letzte der von dem großen
Moorkolonisator Jürgen Chjristian Findorff selbst geplanten
und gebauten Kirchen. Nach sechsjähriger Bauzeit konnte 1790
die Einweihung gefeiert werden. Das als Saalkirche gestaltete
Gotteshaus hat ein langgestrecktes Achteck als Grundriß. Da
erst wenige Moordörfer gegründet waren und noch viele
hinzukommen sollten, ging Findorff von bis zu 1200 Kirchgängern
aus. Aus finanziellen Gründen wurde kein Turm gebaut und
unter den Kirchbänken befand sich noch Sand. Die Einweihung
des 40 Meter hohen Kirchturms fand im Jahre 1870 statt.
Bemerkens- und nachdenkenswert ist die Inschrift über dem
Kirchenportal: GLORIA IN DESERTIS DEO (Ehre sei Gott in der
Wüste).
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Der 1909 verstorbene Besitzer der Marienhütte und große
Wohltäter Gnarrenburgs, Hermann Lamprecht, ist auf dem
Gnarrenburger Friedhof beigesetzt. 1926 hat die Gemeinde als Dank
die Straße von der Ortsmitte Richtung Marienhütte nach
ihm benannt. Auf dieser Straße fahren wir bis zur
Einmündung Fuhrenkamp. Hier biegen wir rechts ab
und gelangen zum Werkstor der ehemaligen Glasfabrik. Der
Ausgangspunkt ist wieder erreicht. Wer noch weitere
Glasprodukte in Augenschein nehmen möchte, kann
dieses im Traditionsgasthof Marienhütte tun. Er
war die Stammkneipe der Hüttenarbeiter.
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