- Die Wümme
schlängelt sich in weiten Schleifen durch die ausgedehnte
Niederung zwischen Bremen und Lilienthal. Zwei alte Deichlinien
lassen ihr noch viel Platz. Die ursprünglichen
Überschwemmungsgebiete von Weser und Wümme - das St.
Jürgensland auf der niedersächsischen Seite und das
Blockland auf der bremischen Seite - sind heute eine großflächige
Feuchtwiesenlandschaft. In der Weite liegt der besondere Reiz
dieser Landschaft. Sie läßt sich deshalb am besten mit
dem Rad erkunden. Dazu soll Ihnen dieses Faltblatt einige
Informationen liefern:
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Die
Wümmeniederung zwischen Lilienthal und Bremen
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1
Am westlichen Ortsausgang von Feldhausen beginnt die Radtour. Die
flache Sandkuppe, auf der Lilienthal liegt, geht hier in das
früher von Überschwemmungen geprägte St.
Jürgensland über. Heute ist das St. Jürgensland
eingedeicht.
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 Die
Truper Blänken, ein großer Flachwassersee zur Zeit der
Kurhannoverschen Landesaufnahme 1764. -
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Durch Wiesen und Äcker
fahren wir auf einen Erlenwald zu. Hier beginnt das
Naturschutzgebiet Truper Blänken. Der Wald ist
schmal, und es ist kaum vorstellbar, daß sich noch bis in
die 30er Jahre hier ein über 100 ha großer
Flachwassersee erstreckte. Er wurde gespeist von der Alten
Wörpe, die von Nordosten in das St. Jürgensland
floß. Als sich das Kloster Lilienthal im 13. Jh. im Zentrum
der heutigen Gemeinde ansiedelte, wurde die Wörpe teilweise
dorthin umgeleitet, um die Wassermühle anzutreiben. Aber
erst im 18. Jh. erfolgte die endgültige Abkopplung der
Alten Wörpe von dem jetzigen Unterlauf der Wörpe
durch Lilienthal.
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Nach der Entwässerung des
Sees (der Blanken) haben sich in den alten Flutrinnen
Röhrichte und Bruchwald aus Erlen und Weiden entwickelt.
Harmonisch fügt sich heute die Waldkulisse in die offene
Weite der Wiesen des St. Jürgenslandes. Hinter dem Wald
führt der Weg entlang der Truper Wettern. Auch sie ist ein
Teil des ehemaligen Wörpelaufs. Im Unterschied zur neuen
Wörpe hat sie einen naturnahen Charakter mit Teich und
Seerosen im Wasser, Röhricht an den Ufern und dahinter
Weiden- und Erlengebüschen.
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Hier müssen wir umkehren
und ein kleines Stück zurückfahren, bis vor einem
Maisfeld ein Feldweg rechts einbiegt. Am Wegrand wächst die
Kriech-Weide und in dem breiten Graben neben dem Weg ein großer
Bestand der Krebsschere. Ihr bizarrer Wuchs erinnert an Aloe. Sie
ist die Charakterpflanze der Altwasser in den Auen der
Tieflandflüsse. Zwei vom Aussterben bedrohte Libellenarten -
die Grüne Mosaikjungfer und die Keilflecklibelle - kommen
hier vor. Sie legen ihre Eier nur an Krebsscheren ab.
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Der Feldweg ist teilweise sehr
uneben, vielleicht müssen Sie Ihr Rad hier ein Stück
schieben.
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2
Auf dem Weg zur Wümme überqueren wir zuerst das Truper
Sielfleet und dann den Semkenfahrtskanal. In den Gräben,
Fleeten und Teichen wachsen die Wasserpflanzen besonders
artenreich, je nach Wassertiefe Seerosen, Laichkräuter,
Krebsscheren oder die Wasserfeder. Gräben und Grabenränder
sind heute ein Ersatzlebensraum vieler Sumpf- und Wasserpflanzen,
aber auch vieler Tierarten, wie der Libellen, die in der
ursprünglichen Auenlandschaft der Wümme weit verbreitet
waren.
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Der
Semkenfahrtskanal wurde 1869 gebaut, um den Transportweg für
die Torfschiffer aus dem Teufelsmoor nach Bremen zu verkürzen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts passierten zwischen September und
Oktober täglich ca. 100 Schiffe diesen Wasserweg.
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Nun
erreichen wir den Deich und folgen der Wümme flußabwärts.
Nach ca. 100 m queren wir das Gehrdener Sielfleet. Hier mündete
ursprünglich die Wörpe in die Wümme, nachdem sie
die Blänken durchflossen hatte. Die verschiedenen Siele im
Deich werden in trockenen Sommern auch geöffnet, um
Wümmewasser einströmen zu lassen. Damit werden die
Gräben aufgefüllt, so daß das Gras nicht
vertrocknet und das Vieh Wasser zum Saufen hat.
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3
Wenden wir uns nun der Wümme zu. Sie entspringt in der
Lüneburger Heide am Wilseder Berg. Das Bremer Becken
durchfließt sie in großen Schleifen (Mäander)
zwischen zwei alten Deichlinien, die im 12. Jahrhundert von
holländischen Siedlern angelegt wurden. Früher wurde
auch das Außendeichsland (Groden) als Wiese und
Weide genutzt. Aber mit dem Ausbau der Weser und der Zunahme von
Ebbe und Flut in der Wümme war eine landwirtschaftliche
Nutzung nicht mehr möglich. Seitdem entwickeln sich hier
Schilfröhrichte und Weidenauwald. Das Gebiet zwischen den
Deichen steht heute unter Naturschutz.
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Die
untere Wümme gehört mit ihren Nebengewässern zum
Lebensraum des Fischotters. V.a. Im Winter wandern Otter bei
anhaltendem Forst aus dem Oberlauf und dem Aller-Gebiet in die
Wümmeniederung -
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Der
Fischotter, ein heimlicher Gast an der Wümme.
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Am Maschinenfleet sehen wir das Schöpfwerk Höftdeicht,
das 1884 als Dampfschöpfwerk in Betrieb genommen wurde. Zu
dieser Zeit praktizierte man allerdings eine Naßwirtschaft:
Im Winter war das gesamte St. Jürgensland monatelang
überschwemmt und wurde von vielen Fischarten als Laich- und
Überwinterungsplatz aufgesucht. Das Überschwemmungswasser
der Wümme und Weser wurde zwischen den Deichen eingestaut,
um die Schlickfacht im Wasser zur Düngung des Grünlandes
zu nutzen. Anfang April wurde das eingestaute Wasser innerhalb
von mehreren Wochen in die Wümme zurückgepumpt. Erst
1936 ging man dazu über, das St. Mürgensland auch im
Winter trocken zu halten.
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Bei der nächsten
Abzweigung führt ein Weg nach Norden zur Kirche St. Jürgen,
die diesem Teil der Wümmeniederung den Namen gegeben hat.
Sie wurde bereits im 9. Jh. dem Heiligen Georg im Land der
Gräser (Beati Georgii in terra graminum)
geweiht. Zur damaligen Zeit gab es auch sommerliche
Überschwemmungen, deshalb bildeten großflächig
Röhrichte und Seggenrieder die natürliche
Pflanzendecke. Allmählich ändert sich nun der Boden der
Niederung. Der Niedermoortorf, der den Boden im östlichen
St. Jürgensland bildet, wird im unteren Flußlauf der
Wümme von einer Kleischicht (Lehm, Ton) überdeckt, die
die Weser bei ihren Überschwemmungen im Mittelalter hier
ablagerte.
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Am Gasthof Nordseite nutzen wir die Brücke, um
die Wümme zu überqueren und auf der bremischen Seite
zurückzufahren. Beim Blick auf das Wasser beobachten wir
möglicherweise eine Strömung in Richtung Lilienthal.
Der Grund dafür ist die Weservertiefung, die den Einfluß
der Gezeiten bis weit ins Binnenland verstärkt hat. Der
Tidenhub beträgt heute an dieser Brücke ca. 2,50 m. Das
Wümmewasser schwabbt also ständig hin und her und ist
dadurch sehr trüb. Bei Ebbe zeigen sich am Fluß große
Wattflächen, die es vor dem Weserausbau in diesem Umfang
nicht gab.
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Der Weg verläuft nun auf
der deichkrone, so daß man einen sehr guten Blick über
den Fluß und auf der rechten Seite in das Bremer Blockland
hat. Als Blockland bezeichnet man die ebene Wiesenniederung, die
zwischen der Wümme und der Bremer Weserdüne liegt. Der
Name stammt aus der Phase der Holländer-Kolonisation und
bezeichnet die Aufteilung in langgestreckte, von Gräben
zerteilte Grünlandparzellen (blocken).
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Die ersten Siedlungen wurden im
12. Jahrhundert im Auftrag des bremischen Erzbischofs von
Holländern angelegt. Die Überschwemmungen zwangen die
Siedler zur Anlage von Wurten. Die Kultivierung hatte einige
unerwünschte Folgen: In dem eingedeichten Flußbett der
Wümme lagerte sich verstärkt Schlick ab, währen
der entwässerte Niedermoorboden binnendeichs zusammensachte.
Dadurch verschlechterten sich die Entwässerungsbedingungen.
Hinzu kam eine Klimaänderung, die verstärkt Hochwasser
und Sturmfluten mit sich brachte. Im 16. Jahrhundert mußten
deshalb die Höfe von der Blocklander Hemmstraße auf
den Wümmedeich umsiedeln.
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Bei Dammsiel mündet die
Kleine Wümme, ein ehemaliger Seitenarm der
Weser.
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Zwischen den Hofstellen Niederblockland 15 und 14 erinnert eine
Holztafel an den letzten Deichbruch im Dezember 1880. Das Wasser
überflutete das ganze Blockland, und große Teile
Bremens standen drei Monate unter Wasser. An der Deichbruchstelle
entstand durch das überstürzende Wasser ein 8 m tiefes
Loch, das heute noch als Teich (Große Brake) zu
sehen ist. Sicher sind Ihnen schon vorher auf der Fahrt solche
Teiche aufgefallen, die alle auf Deichbrüche zurückzuführen
sind.
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 Die
Große Brake -
An den Braken kann man
besonders im Juni die Männchen des Seefrosches rufen hören.
Er ist ein typischer Bewohner der Flußmarsch und
überwintert im Außendeichsbereich am Ufer der Wümme,
weil hier der Boden nicht so lange gefroren ist und das fließende
Wasser ihn ausreichend mit Sauerstoff versorgt.
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 Die
Sumpfdotterblumen blühen auf den gemähten Reetflächen
besonders üppig. -
Einzelne Flächen im
Röhricht werden zur Gewinnung von Reet für die
Dacheindeckung gemäht. Die gemähten Flächen fallen
im Frühjahr durch die gelben Blüten der üppig
wachsenden Sumpfdotterblume auf.
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Im Röhricht brüten
viele Vogelarten. Am häufigsten sind der Teichrohrsänger
und die Rohrammer. Ihr Gesang prägt in den Monaten Mai bis
Juni die akustische Kulisse der Röhrichte. Auf den großen
Silberweiden und Erlen im Außendeichsland gegenüber
von Gartelmanns Gasthof besteht seit 1992 eine
Brutkolonie des Graureihers. Mit dem Graureiher, dem
Schlagschwirl, dem Blaukehlchen, und der Beutelmeise sind vier
Arten in den letzten zehn Jahren als Brutvögel neu
eingewandert, die von der Ausbreitung der Weidengebüsche und
bäume profitieren.
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Auch die Rohrweihe ist häufiger
geworden. Sie segelt elegant im niedrigen Flug über die
Röhrichte und die angrenzenden Wiesen.
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Das Blockland wird seit den
60er Jahren nicht mehr überschwemmt. Der Rückgang von
Überschwemmungen und die nachfolgende Intensivierung der
Grünlandnutzung haben wie im St. Jürgensland den
Vogelreichtum der Niederungslandschaft stark reduziert. Auf den
ausgedehnten Wasserflächen rasteten früher tausende
Schwände, Gänse und enten, und auf den nassen Wiesen
brüteten zahllose Kiebitze, Uferschnepfen und Rotschenkel.
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 Im
Vordergrund ein Süßwasserwatt, das bei Niedrigwasser
sichtbar wird, im Hintergrund Auwald. -
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Im Naturschutzgebiet Westliches Hollerland, das sich
östlich des Kuhgrabens erstreckt, wurden die Wasserstände
seit der Unterschutzstellung Ende der 80er Jahre angehoben. Die
Mahd der Wiesen ist wie in den Truper Blänken erst nach dem
15. Juni erlaubt. Dadurch können typische Wiesenvogelarten
in diesem Gebiet im Unterschied zum Blockland und St. Jürgensland
wieder mehr Junge aufziehen.
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Auf dem Jan-Reiners-Weg
überqueren wir wieder die Wümme, fahren durch
Lilienthal, bis links die Feldhauserstraße abzweigt, und
gelangen hoffentlich wohlbehalten, aber wahrscheinlich mit müden
Beinen, zurück an den Ausgangspunkt der Tour.
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Dr. Hans-Gerhard Kulp
(Biologische Station Osterholz)
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