L A N D S C H A F T S V E R B A N D     S T A D E :   F A L T B L A T T     3 9


Landschaftsverband Stade: Hier folgen Text, Bilder und (am Ende) ein Tourenplan des Faltblattes Nr. 39 aus unserer Reihe „Wege in die Kulturlandschaft zwischen Elbe und Weser“:


Frauen sind die nicht beachtete Mehrheit auch in Stade gewesen. Auf ihrer Arbeit, ihrem Dulden und ihrer Anpassung ruhte das gesellschaftliche System. An bekannten und unbekannten Stationen in der Stadt sollen Aspekte ihrer Lebenswirklichkeit sichtbar werden.

MUTTER FLINT, MADAME ARMSTER UND ANDERE STADER FRAUENZIMMER





1. Am Fischmarkt, beim Holztretkran neben der Stadtwaage, beginnt unser Stadtrundgang. Gegenüber, am Wasser West, steht eine der Touristenattraktionen, „Mutter Flint mit dem Stint“ das einzige in Stade einer Frau, einer Fischhändlerin, gewidmete Denkmal.

Margarethe Pape wird 1861 in Steinkirchen als Tochter eines Fischers geboren. 1883 kommt sie nach Stade, wo sie sich und ihr uneheliches Kind als Schneiderin ernährt. Dreimal ist sie verheiratet, zuletzt mit dem Zimmermann Ludwig Flint, sie bringt sechs

Eine der häufigen Anzeigen im „Stader Tageblatt“.
Kinder zur Welt, die die meiste Zeit im Armenhaus leben Ihr Fischgeschäft begründet das Ehepaar erst 1906 im Haus Poststraße 16. Margarethe ist vor allem mit dem Verkauf beschäftigt. In einem Kinderwagen transportiert sie die Fische, vorwiegend Stinte, aber auch Aale, die sie abzieht, für den Verkauf auf dem Pferdemarkt, wo sie bis 1949 ihren Stand hat. 1952, fast 91-jährig, stirbt Margarethe Flint.



Auch Margarethes ältere Schwester Henriette, in zweiter Ehe mit dem Arbeiter Carl Schwenk verheiratet, verdient ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Fischen, seit 1920 im Eckhaus Salzstraße 1 . Nach dem Tod ihres Mannes 1929 führt „Mutter Schwenk“ das Geschäft alleine weiter. Sie stirbt 1953 im Alter von 94 Jahren.

2. Die beiden Schwestern müssen ihr Leben lang arbeiten, um sich notdürftig ernähren zu können. Eine Altersversorgung außerhalb der Familie gibt es nicht, oft bleibt nur ein Lebensende in Armut. Das Johanniskloster ist seit dem 17. Jahrhundert das zentrale Armenhaus und Altersheim der Stadt. Hier können in 6 - 10 m² großen Wohnungen - durch außen liegende Öfen beheizt - bis zu 55 Arme aufgenommen werden. Als Ausgleich für diese Versorgung fällt ihr Nachlaß an die Johanniskloster-Stiftung.

Die Mehrzahl der Klosterbewohner sind Frauen, meist Witwen, die nur noch zu kleineren Erwerbsarbeiten in der Lage sind. Sie unterstehen einer strengen Aufsicht durch den Klostervogt und dessen Frau. Nur bei guter Führung entsprechend der Klosterordnung können sie mit einem längeren Aufenthalt rechnen. Die Witwe Rebecka Sompfleth beispielsweise, die durch den Besuch einer Tanzveranstaltung gegen diese Ordnung verstößt, wird daher aus dem Kloster gewiesen.

Große Wäsche im Innenhof des Klosters.
3. Die Bewohnerinnen des Klosters sind in der Regel nur wenig zur Schule gegangen und ohne Berufsausbildung, denn Unterricht für Mädchen ist vor allem vom Geldbeutel des Vaters und von dessen Vorstellungen über die Rolle seiner Tochter abhängig. Die 1854 eingerichtete Volksschule bereitet auf die Erwerbstätigkeit vor, während die privaten Töchterschulen und die vom Lehrerseminar unterhaltene Mädchenschule der allgemeinen Persönlichkeitsbildung dienen. Als Folge einer „Revolution“ gegen die konservative Seminarschule wird 1863 eine städtische Mädchenschule im ehemaligen Druckereigebäude bei der Cosmaekirche gegründet. Ebenso wie das Gebäude stockt man auch die Erziehungsangebote der Schule allmählich auf, die 1908 mit dem preußischen Lehrplan Höhere Lehranstalt wird. Hier soll „das Weib“ eine dem Mann „ebenbürtige Bildung“ erhalten, allerdings ausschließlich im Interesse der dienenden Rolle der verheirateten Frau gegenüber ihrem gebildeten Mann. Entsprechend werden die Inhalte der Mädchenerziehung an der Töchterschule bzw. später Lyzeum von den männlichen Studienräten bestimmt. Die ersten wissenschaftlichen Lehrerinnen kommen erst nach 1919 an die Schule.

Zwei Erziehungsziele stehen seit etwa 1876 nebeneinander, die eigenständige, bewußte, gefühlsbetonte Persönlichkeit und die Frau als fleißige Hausfrau, liebende Mutter und zunehmend als „Erzieherin der Nation“. Mädchenbildung ist allerdings für die Familien der Schülerinnen sehr teuer, so daß viele von ihnen schon früh die Schule verlassen müssen. Bis 1929 bleibt das Lyzeum in dem Gebäude bei der Cosmaekirche, ehe es das ehemalige Jungen-Gymnasium an der Bahnhofstraße übernehmen kann. Nun wird die Schule als Oberlyzeum anerkannt, und die ersten Mädchen legen hier 1930 ihr Abitur ab.

4. Die Ausbildung der Mädchen ist der bürgerlichen Oberschicht zwar Geld wert, aber Frauen sind von der Stadtverwaltung vollständig ausgeschlossen. Das Rathaus als Zentrum der bürgerlichen Herrschaft ist bis 1919 ausschließlich von Männern bestimmt. Das Bürgerrecht dürfen nur Männer ausüben; Frauen, die Grundbesitz erwerben, müssen zwar Steuern und Abgaben entrichten, Wahlrechte z.B. aber können sie nur durch Männer - Brüder, Söhne - wahrnehmen. Nur langsam werden Frauen in beratender Funktion zu sozialen Aufgaben in der „Wohlfahrtspflege“ hinzugezogen.

In der Weimarer Republik werden im Februar 1919 auch fünf Frauen in den ersten demokratischen Rat gewählt, ein Anteil von gut 16%. Oft gehören sie dem Rat nur kurze Zeit an, weil ihre Männer aus beruflichen Gründen Stade verlassen. Eine entscheidende Rolle spielen sie nicht. Weder gehören sie der Verwaltungsspitze an, noch wird eine Frau aus den Stadtverordneten zur Senatorin und damit zum politischen Magistratsmitglied gewählt. Ihre Aufgaben bleiben auf den sozialen Bereich beschränkt, bei dem, wie es Bürgermeister Frommhold 1919 ausdrückt, „das warmherzige und mitfühlende Empfinden“ gefordert sei. Insgesamt werden 1919-33 11 Frauen zu Stadtverordneten bzw. Bürgervorstehern gewählt. Typisch für ihre meist nur kurze Wirksamkeit ist eine der ersten Ratsfrauen, Mathilde Pelz (SPD). Sie folgt ihrem Mann, Gustav Pelz, Berichterstatter für das sozialdemokratische „Volksblatt für die Unterelbe“, Anfang 1914 nach Stade und wird im Februar 1919 als „Ehefrau“ zur Bürgervorsteherin gewählt. Sie ist besonders in der Lebensmittelkommission tätig und leitet am 27. Juni 1919 eine große Protestversammlung gegen die unzureichende Versorgung. Bereits im Oktober 1920 aber zieht die junge Familie wegen Gustav Pelz' Beruf nach Harburg.

5. Zentraler Treffpunkt der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ist das Armster'sche Gasthaus, das Eckhaus an der Kleinen bzw. Großen Schmiedestraße. 1794 wird die Weinschenke von Johann Georg Armster erworben, 1825 erweitert und in „Staat London“, später auch „Londoner Schenke“ umbenannt. Die Ehefrau Sophie unterrichtet mit großem Erfolg Mädchen in der Haushaltsführung und veröffentlicht als Extrakt daraus und Summe ihres beruflichen Lebens 1828 ein umfangreiches Kochbuch, das das gesamte 19. Jahrhundert hindurch immer wieder neue Auflagen erlebt.


Das Armster'sche Kochbuch in der 6. Auflage von 1846.

1832 stirbt sie im Alter von 72 Jahren, 1841 auch ihr Mann, so daß der Sohn Friedrich Adolph das Haus übernimmt. Nach seinem frühen Tod 1843 führt seine Witwe, „Madame Armster“, das Haus weiter, in dem eine Vielzahl von Bällen, politischen Versammlungen und Konzerten stattfinden. Im April 1869 muß Helene Armster Konkurs anmelden, 1870 wird das Haus von Hermann Birnbaum völlig neu erbaut. Zur Versorgung der mittellosen Witwe , die 1879 stirbt, wird eine Stiftung ins Leben gerufen.

6. Nur wenige Häuser weiter wird 1662 eine der berühmtesten Frauen Europas, Maria Aurora von Königsmarck, geboren, Enkelin des reichsten Mannes Europas, des schwedischen Generalgouverneurs Hans Christoph von Königsmarck. Sie erhält die Erziehung der dünnen aristokratischen Elite, wächst in Stade, Hamburg und Stockholm auf. Umfassend gebildet, gilt sie darüber hinaus als schönste Frau Europas. Bekannt ist sie auch durch ihre Liebhaber, die Kurfürsten Georg Ludwig von Hannover und August den Starken von Sachsen. Von August dem Starken bringt sie 1696 einen Sohn, Moritz von Sachsen, zur Welt. Vier Jahre später wird sie als Pröpstin noch Quedlinburg abgeschoben, wo sie bis zu ihrem Tod 1728 ihre alten sozialen und kulturellen Kontakte aufrechtzuerhalten sucht und ihren Erben einen Schuldenberg hinterläßt. Gefangen in den Wertvorstellungen der Zeit scheitert sie an ihrem Versuch, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

7. Wohnen in der Großen Schmiedestraße die vermögenden und einflußreichen Bürger und Beamten, so kommt man abwärts zur Wilhadikirche in die beengten Wohngegenden der ärmeren Volksschichten, der Handwerker, Tagelöhner, Wäscherinnen. Hier will das aufgeklärte Bürgertum eingreifen. 1840 ruft der Seminarinspektor Pfannkuche zur Gründung einer „Kleinkinder Bewahranstalt“ oder „Warteschule“ auf, in der Kinder von 2 - 6 Jahren betreut werden, deren Eltern bzw. alleinerziehenden Väter und Mütter durch Heimarbeit und Tagelohn ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Der Magistrat stellt ein „kleines Mietlokal“ am Wall zur Verfügung; auf dem Hofplatz stehen einige Geräte für Leibesübungen. 1841 nimmt die von einem Verein getragene „Kinderbewahrungsanstalt“ ihren Betrieb auf, muß aber schon bald umziehen. Zunächst 37, bald 50 Kinder werden aufgenommen, im Sommer bis zu 12, im Winter bis zu 10 Stunden.
Die Räume am Bischofshof werden bald erweitert, so daß 75 Kinder betreut werden können, zunächst von den „Damen“ des Vereins. Seit 1878 ist dies Aufgabe der Diakonissen des Henrietten-Stifts in Hannover, die in der Bewahranstalt ihre Diakonissen Station einrichten und 1888 auch mit weiteren Schwestern Verwaltung und Pflege im städtischen Krankenhaus übernehmen. 1906 werden Warteschule und Diakonissen-Station in das von der Stadt neu eingerichtete Alters- und Siechenheim am Pferdemarkt, das Peter-Harms-Stift, im ehemaligen Gymnasiumsgebäude des 18 , Jahrhunderts, verlegt. 1922 wird die Warteschule aus Kostengründen gegen die Proteste der Frauen eingestellt.

Harms-Stift und Warteschule kurz nach 1906.

8. Unterhalb des Pferdemarktes befindet sich seitdem 14. Jahrhundert das Beginenhaus. Beginen leben ohne Regel und Gelübde in freiwilliger Gemeinschaft, in Armen- und Krankenpflege tätige kinderlose Witwen oder unverheiratete Töchter, wegen ihrer Tracht die „blauen Schwestern“ genannt. Nach der Reformation wird aus dem Beginenhaus ein Armenhaus, in dem im 17. Jahrhundert 12- 14 Frauen leben. Während der Dänischen Belagerung brennt das Gebäude ab,.das Vermögen der Beginen war bereits nach der Auflösung des Konvents in eine Stiftung unter Aufsicht des Rates umgewandelt worden. Auf dem „Beginenplatz“ wird 1840/41 das neue Hauptgefängnis errichtet.


9. Um den Pferdemarkt liegen im 19. und frühen 20. Jahrhundert große Gasthäuser mit Ausspannen, hier finden die Wochen- und Jahrmärkte statt. Die Dienstmägde der Herrschaften kaufen ein, die Ammen fahren Kinder aus, Putzfrauen und Waschfrauen gehen zu ihren Arbeitsstätten.

Marktgeschehen.

Erwerbsarbeit von Frauen ist vielfältig, auch wenn es bestenfalls Anlernberufe sind, immer eng mit Dienstleistung, Kleidung und Haushalt verbunden, die von keiner Zunft oder Gewerkschaft geschützt werden. Eine Berufsschule für Mädchen entsteht erst in der Weimarer Republik. Die Stellenvermittlerin, die „Mäklerin“, bringt Dienstmädchen und Ammen in Arbeit, aber auch zur Ausbildung im Putzmachen und Weißnähen.

Die schwere Arbeit in den herrschaftlichen und bürgerlichen Haushalten übernehmen die Waschfrauen und Kochfrauen. Die weibliche Erwerbstätigkeit ist weiter verbreitet als bekannt und zugegeben, gerade unter verheirateten Frauen von Arbeitern und Handwerkern. Nur so konnten ihre Familien überleben.













Stellenangebote im „Stader Tageblatt“.



1 - Fischmarkt
2 - Johanniskloster
3 - Töchterschule am Cosmaekirchhof
4 - Rathaus
5 - Eckhaus Kleine Schmiedestraße 1

SEITENANFANG

6 - Königsmarck'sches Haus
Große Schmiedestraße 19
7 - Bischofshof
8 - Beguinenstraße und Beguinenplatz
9 - Pferdemarkt

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