Die Kunstsammlung der ehemaligen Bezirksregierung Stade / Lüneburg –
Geschichte und Ausblick
Die dem Land Niedersachsen gehörende Kunstsammlung der ehemaligen Bezirksregierung Stade, später Lüneburg befindet sich seit 2008 in der Obhut des Landschaftsverbandes Stade. Betreut wird die Sammlung von der Kulturwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin Dr. Heike Schlichting, die seit 2010 als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Landschaftsverband tätig ist. Mit der Übertragung der Verantwortung ist die Sammlung sozusagen zu ihren Ursprüngen zurückgekehrt, denn in Stade hat sie ihren Anfang genommen. Nachdem die Stader Regierung 1978 in der Lüneburger Bezirksregierung aufgegangen war, wurde die Sammeltätigkeit von dort aus fortgesetzt, bis auch die Lüneburger Regierung 2005 aufgelöst wurde.
Ihren Ursprung hat die Kunstsammlung im Jahr 1923, in dem sich das Bestehen der Stader Regierung als Nachfolgerin der 1823 gegründeten Stader Landdrostei zum 100. Mal jährte. Der Vorsitzende der Bezirksgruppe Stade des Hannoverschen Landkreistages erklärte anlässlich dieses Jubiläums, dass sich die Landkreise und Städte entschlossen hätten, der Regierung mehrere Gemälde der besten Künstler des Bezirks zu stiften, die typische Landschaften darstellen sollten. Die Inflation ließ den eigens dafür angelegten Fonds aber schnell zusammenschmelzen, so dass es zunächst bei dem guten Willen blieb.
Anfang 1926 schenkte die Stadt Wesermünde (heute Bremerhaven) der Regierung dann ein Gemälde des alten Fischereihafens, gemalt von dem Münchner Marinemaler Leopold Schönchen (1855−1935). Damit gelangte das erste Bild als Schenkung in Regierungsbesitz.
Noch im selben Jahr erfolgte der erste Ankauf eines Bildes, nachdem der damalige Stader Regierungspräsident Dr. Hermann Rose den preußischen Kultusminister gebeten hatte, für den in wirtschaftliche Not geratenen Worpsweder Künstler Fritz Mackensen (1866−1953) Geld für den Ankauf eines Gemäldes zur Verfügung zu stellen. Mackensen schuf daraufhin das Bild „Einsame Fahrt bei Worpswede“. Das großformatige Gemälde, das in Seitenansicht einen bis auf den Steuermann leeren Torfkahn mit dunklem Segel zeigt, hing lange Zeit im niedersächsischen Landtag in Hannover und befindet sich heute als Dauerleihgabe im Niedersächsischen Landesarchiv Abteilung Stade.
Der Gedanke der finanziellen Förderung der heimischen Künstler durch den Ankauf ihrer Werke sollte auch in Zukunft eine wesentliche Rolle spielen. Der Regierungspräsident erinnerte den Landkreistag an sein Versprechen von 1923, Bilder zu stiften, und mit dem schließlich zur Verfügung gestellten Geld konnten 1927 vier weitere Landschaftsgemälde angekauft werden. Otto Modersohn (1865−1943), der gemeinsam mit Fritz Mackensen 1889 zu den Gründungsmitgliedern der Worpsweder Künstlerkolonie gehört hatte und seit 1908 in Fischerhude lebte, malte die „Heidelandschaft bei Kirchtimke“.
Walter Bertelsmann (1877−1963), der der sogenannten zweiten Malergeneration von Worpswede angehörte, stellte die sommerliche „Elbe bei Krautsand“ dar.
Mit einem Porträt der Bremer Vulkan-Werft wurde der Lilienthaler Künstler Carl Jörres (1870−1947) beauftragt.
Der aus Scheeßel stammende Maler Ernst Müller-Scheeßel (1863−1936), der seit 1910 in einem Atelier im Bremer Roselius-Haus in der Böttcherstraße arbeitete, schuf eine Ansicht der Stadt Verden an der Aller.
Das Bild des Wesermünder Fischereihafens hängt als einziges noch immer im historischen Regierungsgebäude, in dem heute mehrere Behörden ihre Büros haben. Neben dem Mackensen-Gemälde, das im Treppenaufgang des im Frühjahr 2014 eröffneten Neubaus des Stader Landesarchivs einen hervorragenden Platz gefunden hat, schmücken die Gemälde „Elbe bei Krautsand“, „Verden an der Aller“ und „Heide bei Kirchtimke“ als langfristige Leihgaben das Foyer. Das Bild der „Bremer Vulkan-Werft“ befindet sich im Kunstdepot des Landschaftsverbandes in Stade.
Alle sechs Bilder waren 1928 in einer Feierstunde im Sitzungssaal des Regierungsgebäudes aufgehängt worden. So war der Grundstock für eine Sammlung gelegt, die im Laufe einer beinahe acht Jahrzehnte währenden Ankaufstätigkeit auf etwa 1400 Kunstwerke anwuchs.
Von Anfang an war vorgesehen, dass die angekauften Werke – hauptsächlich Gemälde und Grafik, aber auch Skulpturen, Plastiken und kunsthandwerkliche Keramikarbeiten – die Diensträume und Flure der verschiedenen Behörden schmücken sollten. So ist ungefähr die Hälfte der Arbeiten noch heute auf zahlreiche Dienststellen im Stader und Lüneburger Raum verteilt. Ein durch Rückgaben aus Lüneburg und aus verschiedenen anderen Behörden inzwischen auf ca. 700 Kunstwerke angewachsener Bestand wird im Kunstdepot in Stade verwahrt. Die Grundlage der Verwaltung aller Werke bildet eine vollständige Inventarisierung und die Erfassung per EDV. Seit Oktober 2013 – zum 50-jährigen Jubiläum des Landschaftsverbandes – liegt auch ein Werkverzeichnis vor. Es enthält einen umfangreichen Katalogteil, in dem sämtliche Kunstwerke, versehen mit den wichtigsten Daten, farbig abgebildet sind. Vorangestellt sind als Einführung ein Beitrag zur Geschichte der Sammlung und eine repräsentative Bilderauswahl, die einen Querschnitt durch die Sammlungsgeschichte darstellt.
Anlässlich des Jubiläums hat der Landschaftsverband im früheren Regierungsgebäude in Stade eine Sonderausstellung präsentiert, in der die sechs ersten Gemälde wieder zusammengeführt und der Öffentlichkeit erstmalig gemeinsam gezeigt wurden. Ergänzt wurden die „alten Meister“ um eine Auswahl von 20 weiteren Bildern aus dem Bestand, die sich ebenfalls künstlerisch mit dem Thema Landschaft auseinandersetzen. Nachdem 1976/77 kurz vor der Auflösung der Stader Bezirksregierung in einer Wanderausstellung mit mehreren Stationen im ganzen Regierungsbezirk erstmalig Bilder gezeigt worden waren, war dies erst die zweite öffentliche Ausstellung von „Regierungsbildern“.
Schon kurz vor der Auflösung der Lüneburger Bezirksregierung sind die Ankäufe von Kunstwerken eingestellt worden. Mit dem Wegfall der zuständigen Verwaltungsinstanz ist auch diese Funktion der Sammlung entfallen. Der Landschaftsverband sorgt für die Erhaltung des Bestandes und ist Ansprechpartner in allen die Kunstwerke betreffenden Fällen, setzt die Ankaufstätigkeit aber nicht fort.
Ein Teil der Kunstwerke mit Worpsweder Bezug befindet sich als Dauerleihgabe in der Großen Kunstschau in Worpswede, um sie einer musealen Nutzung zuzuführen. Diese und alle anderen Werke können weiterhin durch Vermittlung des Landschaftsverbandes für Ausstellungen ausgeliehen werden. Auch die Ausleihe an Behörden ist weiterhin möglich und erwünscht.
Mit der Einrichtung einer Artothek möchte der Landschaftsverband nun dafür sorgen, dass die bisher „verborgenen Kunstwerke“, die den Behördenbüros vorbehalten waren und teilweise ungenutzt im Magazin stehen, der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.